Details zum Bochumer Konzept des JeKi-Programms

Der Anstoß zu diesem immensen Projekt kommt nicht allein aus der Musikpädagogik. Zunächst ermöglichte die Verbindung zwischen Musikschule und einem bürgerschaftlichen Engagement vor Ort im Umfeld einer Bank, dass die Idee an sich und das Projekt in Bochum entstehen konnten. Danach brach sich politischer Gestaltungswille auf Landes- und Bundesebene Bahn und führte, zusammen mit der Chance der Kulturhauptstadt 2010 im Ruhrgebiet, zum großen Projekt. Diese Entwicklung ist allerdings nur möglich gewesen, da sich im letzten Jahrzehnt ein breiter gesellschaftlicher Konsens über die Leistungsfähigkeit der kulturellen Bildung gebildet hat. Pisa-Schock und die Rezeption der Arbeiten von Hans Günther Bastian wurden auf breitester medialer Front rezipiert.
Die Zukunftsstiftung Bildung in der GLS-Treuhand Bochum e.V. wurde als unselbständige Stiftung innerhalb der GLS-Treuhand Bochum gegründet. Zu ihrem Aufgabenspektrum gehört die „ …Förderung von Initiativen des politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Lebens, die eine nachhaltige Erneuerung der Bildung und ihrer Strukturen abzielen.“ Im Rahmen dieser Zielsetzung ging die Stiftung im Jahre 2000 mit der Frage auf die Musikschule Bochum zu, ob man gemeinsam eine nachhaltige Innovation im Bereich der Musikschulen entwickeln und durchführen könne. Als neugegründete Stiftung hatte sie ein Interesse daran, mit einer spektakulären Fördermaßnahme bekannt zu werden. Die Gründung der Stiftung kam in einer Zeit zustande, in der sich die GLS-Bank durch den Zukauf der Frankfurter Öko-Bank von einer Sparten-Bank für den Bereich der anthroposophischen Institutionen zu einer bundesweiten Bank ausdehnte. So verband sich das persönliche Engagement der dort handelnden Personen mit einem Bedarf der GLS-Gruppe an überregional wirksamen Projekten. Die Stiftung hatte zur gleichen Zeit ein ähnliches Projekt an der Waldorfschule in Bochum-Langendreer betreut und gefördert, in dem ebenfalls alle Kinder ein Instrument erlernen sollten. Es stellte eine Anregung für die Musikschule dar. Das Konzept war aber den Rahmenbedingungen der Waldorfschulen angepasst und bot sich für die Ausdehnung an den staatlichen Grundschulen eher nicht an.
Die Anfrage der Stiftung kam zu einem Zeitpunkt, als sich die Leitung der Musikschule Bochum darüber Gedanken machte, wie eine Erneuerung der Musikalischen Grundausbildung aussehen müsste. Die Attraktivität der konventionellen Musikalischen Grundausbildung (MAG) war offensichtlich geschwunden. Die MGA war schon in den 1960er-Jahren entwickelt worden, setzte die Blockflöte oder Orffsche Instrumente ein und war, inhaltlich komplett von der Grundschule getrennt, im nachmittäglichen Freizeitbereich angesiedelt. Gesucht wurde ein Konzept für die elementare musikalische Arbeit mit Grundschulkindern. Es sollte idealtypisch den folgenden Kriterien folgen:

• Alle Kinder sind im Blick. Alle Ausschlussgründe im Strukturellen und Finanziellen sollen minimiert werden, damit alle oder zumindest fast alle Kinder teilnehmen können.

• Die Musikschule soll im Rahmen der Grundschule tätig werden, möglichst eng kooperativ und langfristig eingeflochten im Vormittagsunterricht.

• Alle Musikinstrumente sind einbezogen. Eine Beschränkung auf „Vor-“ oder „Kinderinstrumente“ wie Blockflöte, Xylophon oder Melodika sollte es nicht mehr geben.

• Das individuelle instrumentale Lernen im Gruppenunterricht steht im Mittelpunkt. Ihm ist eine einjährige Phase des klassenweisen Lernens elementarer musikalischer Inhalte vorgeschaltet, die eine sehr intensive Instrumenteninformation umfasst.

• Das instrumentale Lernen soll im zweiten Schuljahr in Gruppen von vier bis sieben Kindern stattfinden.

• Der Beginn der Aktion liegt im ersten Schuljahr.

• Musikinstrumente werden von privater Seite finanziert.

Das Ergebnis der mehrmonatigen Konzeptentwicklung war das Projekt „Jedem Kind eine Instrument“ in seiner ersten, der Bochumer Fassung. Beteiligt waren neben den Lehrkräften der Musikschule Bochum auch Lehrerinnen und Leiterinnen der Bochumer Grundschulen und Vertreter der Zukunftsstiftung Bildung.Es besteht im Kern aus einem zweijährigen Unterricht der Musikschule in Form einer zusätzlichen Unterrichtsstunde in der Grundschule.
Im ersten Schuljahr werden elementare musikalische Inhalte vermittelt, überwiegend jedoch das Wissen um die Musikinstrumente, die im zweiten Jahr angeboten werden. Alle Instrumente werden physisch vorgestellt, die Kinder können sie anfassen, erste Töne hervorlocken und eine Beziehung zu ihnen entwickeln. Im ersten Jahr unterrichten eine Lehrkraft der Musikschule und eine der Grundschule gemeinsam, gleichsam im „Tandem“. Die Beteiligung zweier pädagogischer Fachkräfte lässt im ersten Jahr große Gruppen bis hin zur Klassengröße zu. Musikschullehrkräfte sind für den Einzelunterricht, bestenfalls für den Gruppenunterricht ausgebildet. Haben sie eine Ausbildung im Fach „Elementare Musikpädagogik“ sind sie auf Gruppen in der Größenordnung von 12 Kindern vorbereitet – nicht aber auf die Klassengröße. Die Idee, zwei Kräfte aus Grundschule und Musikschule gemeinsam tätig werden zu lassen, stammt ursprünglich von der Grundschulseite, die sich von einem solchen Tandem große Vorteile für den Alltag in der Grundschule erwartete.
Nachdem die Kinder im ersten Schuljahr die Instrumente kennen gelernt haben, wählen sie bis Ostern drei Lieblingsinstrumente aus. Der Akt der Entscheidung des Kindes für drei Instrumente ist wichtig für die Standhaftigkeit am Instrument und damit ein Qualitätskriterium des Konzepts.
Die Musikschule organisiert für den Beginn des zweiten Schuljahres den instrumentalen Unterricht in den Grundschulen und versucht, die Wünsche der Kinder zu realisieren. Dabei gibt es auch gemischte Gruppen, in denen mehrere Musikinstrumente gleichzeitig unterrichtet werden. Die Lehrkräfte aktivieren dafür auch ihre Zweit- und sogar ihre Drittinstrumente. Angesichts des großen Anregungspotentials, das mit dieser einjährigen instrumentalen Begegnungsphase in Bochum verbunden ist, ist dieses Verfahren akzeptabel. Die Kinder lernen im zweiten Schuljahr die ersten Handhabungen auf ihrem Instrument in Gruppen mit durchschnittlich 5 Kindern. In der Praxis bedeutet dieser Durchschnittswert, dass es auch einige größere Gruppen geben kann. Lehrkräfte, die bereits Erfahrungen mit dem Streicher-Klassenunterricht haben, sind in der Regel imstande, eine größere gemischte Gruppe gut zu führen. Damit werden auch einige kleinere Gruppen möglich, da die Bilanz der Gruppengrößen insgesamt eingehalten wird.
Die Kosten für die teilnehmenden Kinder betragen in der Bochumer Konzeption 15 € monatlich im ersten Schuljahr und 25 € monatlich im zweiten Schuljahr. Empfänger von Sozialhilfe und Arbeitslosengeld II sind gebührenfrei; darüber hinaus gibt es individuelle Stipendien.
Zur Umsetzung des Bochumer Projekts wurde ein Zeitplan verabredet. Es begann mit 10 Grundschulen im Jahre 2003. Bis 2010 sollen jährlich bis zu 10 weitere Grundschulen in das Projekt aufgenommen werden, bis schließlich alle 60 Grund- und ca. 10 Förderschulen einbezogen sind.
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